Ein Ausflug in die Neurowissenschaft
Warum Veränderung schwierig ist
Oder: Wie wir unser Gehirn dazu bringen anders zu funktionieren, damit wir uns verändern können
Der Neurowissenschaftler Dr. Joe Dispenza erklärt sehr einfach und nachvollziehbar, wie unser Gehirn und unser Körper zusammenarbeiten, und wie unsere Gedanken darauf einwirken. Vereinfacht dargestellt besteht das Gehirn zu mindestens 75 Prozent aus Wasser und hat ein paar Milliarden Nervenzellen, die sogenannte Neuronen, und jede einzelne Nervenzelle kann 1000 bis über 100.000 Verbindungen mit anderen Nervenzellen aufweisen. Lernen wir zum Beispiel etwas Neues oder machen neue Erfahrungen, stellen unsere Neuronen neue „synaptische Verbindungen“ her und tauschen miteinander Informationen aus. Diese Stelle, an der der Informationsaustausch stattfindet, nennt man Synapsen. Und durch das Lernen entstehen neue synaptische Verbindungen, die durch Erinnerungen fest miteinander verdrahtet werden.
Werden nun Gedanken oder Erfahrungen oft genug wiederholt, stellen unsere Gehirnzellen eine stärkere Verbindung und auch insgesamt mehr Verbindungen miteinander her. Durch das Lernen von etwas Neuem und durch neue Erfahrungen können innerhalb von Sekunden Tausende neue Verbindungen aufgebaut werden. Um diese neuen Verbindungen zu stärken, damit diese sich nicht wieder zurück bilden, müssen wir das Gelernte oft genug wiederholen, um neue Gedanken, neue Entscheidungen, neue Verhaltensweisen, neue Gewohnheiten, neue Überzeugungen und neue Erfahrungen wirklich fest in unserem Gehirn zu verankern.
Das heißt, wenn wir wiederholt neue Gedanken denken, verändern wir uns – neurologisch, chemisch und genetisch. Durch die Gedanken werden im Gehirn mehrere chemische Substanzen freigesetzt, wie zum Beispiel Serotonin, Dopamin und Acetylcholin. Serotonin gilt als Glückshormon und ist bekannt als Stimmungsaufheller. Dopamin vermittelt den Belohnungseffekt und ist ein Verhaltenslenker. Acetylcholin ist der wichtigste Botenstoff für die Erregungsübertragung von Nerven zur Muskulatur und spielt eine zentrale Rolle im vegetativen Nervensystem, das über die lebenswichtigen Funktionen wie Atmung, Blutdruck, Herzschlag, Verdauung und Stoffwechsel Kontrolle hat.
Bleiben wir bei unseren alten Gedanken und Gefühlen die wir kennen und lernen nichts Neues dazu, aktiviert das Gehirn immer wieder die bekannten Verbindungen, was dazu führt, dass sich die alten Muster und Kombinationen zu automatisch ablaufenden Programmen entwickeln und wir laufen auf Autopilot. Wir müssen dann über einen bestimmten Ablauf nicht mehr bewusst nachdenken, es geht ganz automatisch, wie zum Beispiel Autofahren, Zähneputzen oder das Sprechen einer gelernten Sprache. Diese gewohnten Verbindungen wurden so oft verstärkt, dass sie nun fest verdrahtet sind und die Verbindungen zwischen den Neuronen verkleben. Es ist wie das Verbreitern einer Straße, um einfacher und schneller voran zu kommen, man verpasst aber die Schönheit der umliegenden Landschaft mit ihren Geschenken und Überraschungen.
Wie Forschungen aufgezeigt haben, wächst unser Gehirn durch Nutzung und verändert sich aufgrund seiner Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit, der sogenannten Neuroplastizität. Wenn wir also unser Gehirn dazu bringen können, anders zu funktionieren, weil wir anders denken, können wir einen offeneren Geist entwickeln und uns wirklich verändern. Dazu müssen wir uns unseres „unbewussten Selbst“ bewusst werden, das unglücklicherweise zu 95 Prozent aus unterbewussten Programmierungen besteht, und nur zu 5 Prozent unseren bewussten Geist ausmacht. Neue Entscheidungen zu treffen ist daher eine der schwierigsten Veränderungen, weil uns der neue Zustand unvertraut und unbekannt ist, und wir uns sicherer fühlen wenn wir das Gewohnte erleben und immer wieder die bekannten Emotionen fühlen. Erkennen wir aber, dass sich eine Veränderung kurzfristig unwohl anfühlt, weil die jahrelangen unbewussten Gedanken strukturell verändert werden, können wir das unsichere Gefühl aushalten und verstehen, dass dies mit dem Abbau alter Einstellungen, Überzeugungen und Wahrnehmungen hindeutet.
"Wenn du die Absicht hast, dich zu erneuern, tu es jeden Tag". (Konfuzius)
Wie Gedanken uns beeinflussen
Was Gedanken bewirken können
Gedanken sind die Sprache des Gehirns und Gefühle sind die Sprache des Körpers, beschreibt Dr. Joe Dispenza den Seinszustand von Geist und Körper. Wie bereits erwähnt erzeugt das Gehirn bei jedem Gedanken die Neurotransmitter Serotonin, Dopamin und Acetylcholin und dazu noch eine weitere Substanz, ein kleines Protein - ein Neuropeptid. Dieses dient als Botenstoff und schickt dem Körper eine entsprechende Botschaft, worauf der Körper mit einem Gefühl reagiert.
Dieses Gefühl wird erneut vom Gehirn bemerkt und das Gehirn erzeugt daraufhin einen weiteren Gedanken, der genau zu diesem Gefühl passt.
Unser Gehirn erzeugt somit immer wieder die gleichen Gedanken aufgrund der Gefühle des Körpers und vernetzt die neuronalen Schaltmuster immer fester, aufgrund der wiederkehrenden Gedanken.
Wenn diese Denk- und Gefühlsschleife lange genug wiederholt wird, verinnerlicht der Körper die vom Gehirn signalisierten Emotionen. Wir stecken in einem Programm fest und können nicht mehr über unsere Gefühle hinausdenken, und unsere Gefühle bestimmen immer mehr unser Denken. Wir stecken in Gewohnheiten fest und funktionieren auf Autopilot, weil unsere unbewussten Programme den Ablauf bestimmen. Dr. Joe Dispenza sagt dazu, dass bereits im Alter von 35 Jahren unser Ich zu 95 Prozent aus verinnerlichten Verhaltensweisen, emotionalen Reaktionen, Überzeugungen und Einstellungen besteht, die wie ein unterbewusstes, automatisch ablaufendes Computerprogramm funktionieren.
Dawson Church, ein guter Freund und Neurowissenschaftskollege von Dr. Joe Dispenza, hat in Forschungen aufgezeigt, dass unsere Gedanken und Emotionen nicht nur in unserem Körper und unserem Gehirn eingeschlossen sind, sondern sich auf Menschen auswirken mit denen wir zu tun haben. Wir sind durch unsere neuronalen Netze und über unsichtbare Energiefelder miteinander verbunden, und Gehirne, die miteinander Informationen ausgetauscht haben, gleichen sich miteinander ab und synchronisieren sich ständig mit anderen Menschen.
So sind wir sehr empfänglich für verbale wie auch nonverbale emotionale Signale.
Sehen wir beispielsweise, wie eine andere Person umarmt wird, leuchtet unser Gehirn genauso auf, als würden wir selbst umarmt. Allerdings können nicht nur positive Emotionen zwischen Menschen übertragen werden, unser Gehirn stellt sich auch auf den Schmerz einer anderen Person ein. So beginnen Babys beispielsweise an zu weinen, wenn Familienmitglieder oder nahestehende Personen leiden oder betrübt sind. Die emotionsverarbeitenden Teile ihres Gehirns reagieren auf die Emotionen anderer Menschen und werden entsprechend aktiviert.
Emotionen können so ansteckend sein wie Infektionskrankheiten, negative sowie positive Emotionen. Eine Unterstudie der „Framingham Herz-Studie“ fand heraus, dass das Glück eines einzigen Menschen einen anderen bis zu einem Jahr lang glücklicher machen kann. Es stieg sogar die Chance auf Glück für Nachbarn, Geschwister oder Freunde noch bis zu 34 Prozent. Aus dieser Studie lässt sich meiner Meinung nach erkennen, dass unsere emotionale Verfassung nicht nur von uns selbst abhängt, sondern auch von den Menschen, mit denen wir uns umgeben.
Emotionale Ansteckung kann aber auch auf ganze Gruppen einwirken, was die Gruppendynamik beeinflusst. Positive Emotionen und eine positive Stimmung können die gesamten Leistungen und die Zusammenarbeit eines Teams erhöhen, und ermöglichen eine Abnahme von Konflikten. Aber auch das Gegenteil, der Einfluss von negativen Emotionen, kann eine ganze Organisation infizieren, und zu vermehrten Konflikten, Disharmonien bis hin zu Krankheit führen.
Ein großes Experiment mit 689.003 Facebook-Nutzern zeigte, dass Emotionen nicht nur in Teams, Familien oder Gemeinschaften übertragen werden, sondern auch auf der viel umfassenderen Ebene sozialer Netzwerke. Es braucht für eine emotionale Ansteckung nicht einmal den persönlichen Kontakt unter Menschen, da wir ständig unsere Emotionen mit anderen Menschen austauschen, auch wenn das unterhalb unserer bewussten Wahrnehmung abläuft. Ganze Menschengruppen können so in emotionale Kohärenz treten. Die unterbewusste Ausbreitung negativer Emotionen zieht sich schon seit Jahrtausenden durch menschliche Gesellschaften, lange bevor es soziale Medien gab. Es lassen sich dazu verschieden Beispiele für Massenhysterie finden, ein repräsentativer Vertreter dafür war Adolf Hitler mit seinen riesigen Kundgebungen in den 1930 Jahren, wo er die Menschen zu Begeisterungsstürmen pushte und Hunderttausende von Zuschauern in seinen Bann zog. Diese spektakulären Veranstaltungen und die emotionale Ansteckung verhalfen dazu, dass sich das Volk hinter Hitlers Visionen stellte.
"Lasse niemanden durch deinen Kopf spazieren,
der dreckige Schuhe hat". (Unbekannt)
Dispenza, Dr. Joe: "Du bist das Placebo, Bewusstsein wird Materie", KOHA-Verlag, 10. Auflage 2020, (S. 95-110)
Church, Dawson: "Geist über Materie",
Momanda Verlag, 2018 ( S. 153-164)
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